Workshop „Mentale Allmenden und objektiver Geist. Überindividuelle Phänomene menschlicher Lebenswelten“
Im September 2022 fand an der Universität Rostock ein durch die Stiftung Neue Phänomenologie finanzierter Workshop statt. Zum Inhalt hatte dieser den Begriff des objektiven Geistes, welcher den kulturwissenschaftlichen Gegenstand seit G.W.F. Hegel bezeichnete. In heutigen Diskussionen findet er aber kaum noch Verwendung. Das gilt besonders auch für gegenwärtige Debatten in der Sozialontologie (Margaret Gilbert, Raimo Tuomela, John Searle u.a.). Auf dem Workshop wurde aus unterschiedlichen Perspektiven – analytische Sozialontologie, an Simmel angelehnte Kulturphilosophie oder Phänomenologie etwa – versucht, zu erörtern, was genau der Begriff – bzw. ähnlich gelagerte Begriffe wie „mental commons“ (Annette Baier) – bezeichnet und welche Bedeutung er für das menschliche Selbstverständnis hat oder haben könnte. Insbesondere auch die Frage, welchen Status die durch ihn bezeichneten Entitäten ontologisch besitzen, bildete einen wesentlichen theoretischen Schwerpunkt.
Der Workshop stellte die Diskussion systematischer und aktueller Problemstellungen (Individualismus vs. Kollektivismus, Wir-Intentionalität, Struktur der institutionellen Wirklichkeit, anthropologische Differenz, situierte Kognition) mit der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer Wie-deranknüpfung an den Begriff des objektiven Geistes in eine Beziehung. Wesentliche Bezugsautoren waren dabei neben Hegel und den genannten gegenwärtigen Autoren wie Searle oder Hans Bernhard Schmid vor allem auch Moritz Lazarus, Wilhelm Dilthey, Georg Simmel, Hans Freyer, Nicolai Hartmann und Michael Landmann.
Hauptschwerpunkt der gemeinsamen Denkarbeit war der Versuch, Bestimmungs- und Deu-tungsangebote zu entwickeln und zu diskutieren, auf deren Grundlage das Nachdenken über transindividuelle Phänomene nicht-materialer Art produktiv und nichtmetaphysisch fortgesetzt werden kann. Hierzu bot gerade die Diversität der verschiedenen Beiträge sinnvollen Anlass und Input. Es ist geplant, den Workshop in Form einer Publikation im Nachgang zu dokumentieren.
Nachwuchstreffen
Für ein Nachwuchstreffen von Phänomenologen, das den Zweck des inhaltlich-philosophischen Austauchs und des Networkings hatte, stellte die SNP anteilig Mittel bereit.
29. Symposion der GNP
Die Stiftung Neue Phänomenologie förderte das 29. Symposion der Gesellschaft für Neue Phänomenologie, das vom 08. bis 10. April 2022 in Rostock stattgefunden hat. Es stand unter dem Titel "Die Zukunft der Neuen Phänomenologie". Im Zentrum der Veranstaltung stand die Würdigung des philosophischen Werkes von Hermann Schmitz, der im Vorjahr verstarb. In der Aula des Hauptgebäudes der Universität Rostock kamen ca. 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusammen.
Mit dem Tod von Hermann Schmitz stellt sich die Frage nach der Zukunft der von ihm begründeten Neuen Phänomenologie. Nach mehr als sechs Jahrzehnten Schaffenszeit hat er ein gewaltiges Werk hinterlassen, das in manchen Teilen immer noch auf seine Rezeption wartet. Innerhalb und außerhalb der Philosophie sind bereits an vielen Stellen fruchtbare Anknüpfungen zu erkennen. Welche Perspektiven ergeben sich aus dem neophänomenologischen Ansatz, die über die übrigen philosophischen Schulen hinausführen? Welche Facetten des In-der-Welt-seins kommen durch eine Besinnung auf die Dimensionen Leib und Gefühl, Situation und Subjektivität ans Licht? Inwiefern können diese phänomenologischen Befunde zu einer neuen und reflektierteren Lebenspraxis beitragen? Aber auch die Neue Phänomenologie selbst ist einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Welche blinden Flecken gibt es? Welche Phänomene hat sie bisher kaum in den Blick genommen, welche einseitig? Inwiefern bedarf es der Ergänzung durch weitere Perspektiven, etwa aus anderen phänomenologischen Schulen und anderen wissenschaftlichen Disziplinen?
Diesen und weiteren Fragen sind auf der Tagung insgesamt 10 Vorträge nachgegangen. Im Rahmen eines festlichen und musikalisch untermalten Gedenkens erinnerten Michael Großheim und Ute Gahlings an das Leben und den Menschen Hermann Schmitz, sowie des ebenfalls kurz zuvor verstorbenen Philosophen Gernot Böhme. Thomas Fuchs fragte in seinem Beitrag nach dem Verhältnis von Leib und Körper, Damir Smiljanić sprach über die Philosophie als eine „vage Wissenschaft“ und Jens Soentgen trug seine Ideen zu einer „ökologischen Leibphilosophie“ vor. Alexander Rollevs diskutierte die vernachlässigte Kategorie der „Gewissenserforschung“, woraufhin Tonino Griffero seine Entwicklung einer „pathischen Ästhetik“ darlegte und Kira Meyer die Bedeutung von Atmosphären für die Naturästhetik reflektierte. Den Abschluss bildeten Robert Gugutzer, der auf Grundlage der neophänomenologischen Methode eine „Soziologie der Kraft“ vorlegte, und Hartmut Rosa, der seine „Soziologie der Weltbeziehung“ in ein Verhältnis zur Neuen Phänomenologie setzte.